Sonntag, 23. Oktober 2016

Obake #1: Yuurei


 Da so langsam die Halloween-Zeit naht, werde ich mich mit den übersinnlichen Wesen des japanischen Volksglaubens befassen.


Obaka (jap. お化け), auch Bakemono (化け物), werden traditionelle Geister, Kobolde und Monster des japanischen Volksglaubens bezeichnet. Der Begriff beinhaltet weiterhin Yokai (Monster und Kobolde) und yuurei (Geister von Verstorbenen). Der Begriff "Obake" ist vom japanischen Verb "bakeru" (sich verwandeln) abgeleitet. Obake werden also als jenseitige Wesen verstanden, die sich verwandeln können und von der natürlichen in eine übernatürliche Welt kommen.

So gibt es Obake in Tierform, die ihre Gestalt verändern können wie z.B. Kitsune, Tanuki und Mujina, aber auch mythologische Wesen wie auch unbelebte Objekte, denen Leben eingehaucht wurde (Tsukumogami)

Besonders zur Edo-Zeit (1600-1867) wurden Geschichten aus der Geisterwelt sehr beliebt, wie beispielsweise die „Geschichten unter dem Regenmond“ (Ugetsu monogatari) von Ueda Akinari. Aber auch viele ukiyo-e-Holzschnitte von übersinnlichen Wesen beweisen, dass die Japaner seit jeher vom Übernatürlichen angezogen wurde. Zu jener Zeit wurden auch Gespensterklassifikationen erstellt, u.a. von Toriyama Sekien, die auch heute noch Vestand haben und in Filmen wie Manga behandelt werden. Hierbei lassen sich zwei grundsätzliche Arten übernatürlicher Kreaturen ausmachen:

1 die Fabelwesen genannt yokai, die konstante Gemeinschaften außerhalb der menschlichen Gesellschaft bilden. Zu ihnen gehören die tengu, oni und andere geisterhafte Wesen, wie auch Tiere (Kitsune).
2 die Seelen der Verstorbenen (yuurei), die noch nicht komplett ins Jenseits gewandert sind und somit noch keine neue Wiedergeburtsform erhalten haben.


Totengeister (yuurei)


In der Edo-Zeit etablierte sich die auch heute noch bekannte Art der Totengeister (yuurei, die eine starke Gemeinsamkeit zu europäischen Geistern besitzt:
Sie werden in einem weißen Totengewand (shini shozoku, sowie mit einer dreieckigen Stirnkappe – hitaikakushi) und langen, offenen Haaren gezeigt. Ihre Arm sind fest an der Brust, während die Hände sehr schlaff herunter fallen. Die Assoziationen mit diesem Aussehen haben eine lange Geschichte.

Im Shinto galt Weiß als Farbe ritueller Reinheit und war dementsprechend für Priester und Tote reserviert. Der Kimono kann ein katabira (ein einfacher, weißer, schnittloser Kimono sein) oder ein kyokatabira (ein weißer katabira mit buddhistischen Sutras).
Das schwarze Haar wird von einigen als ein Markenzeichen des Kabuki verstanden, bei dem Perücken von allen Schauspielern getragen wurden. Das ist jedoch ein Missverständnis: japanische Frauen haben ihre Haare generell lang wachsen lassen und dann zusammen gesteckt und nur zu Beerdigungen offen getragen.
Die Hände und Füße werden in Darstellungen meist nicht gezeigt, wodurch sie einen schwebenden Eindruck hinterlassen.

Bereits in der Heian-Zeit glaubte man, dass jeder Mensch nach seinem Tod zu einem Geist werden kann, wenn er keine ordentliche Bestattung erfährt oder ihm der Weg ins Jenseits verwehrt wird, weil sich niemand um seinen Leichnam kümmert. Wenn bei diesem Weg oder diesem Ritus etwas schief geht, kann der Geist in Träumen der Hinterbliebenen diese heimsuchen. Solche Totengeister werden erst dann wirklich gefährlich, wenn diese zu Rachegeistern (onryo) werden. Das geschieht dann, wenn ihnen in ihrem diesseitigen Leben Unrecht geschehen ist oder sie leidvoll sterben mussten.

Die damaligen religiösen Institutionen haben diese Vorstellungen gerade zu gefördert und nicht etwa als eine Art Aberglauben abgetan. Bereits im frühen Buddhismus lassen sich Zeremonien nachweisen, die nach brutalen Schlachten durchgeführt wurden, um sich vor Racheakten der Geister der Gefallenen zu beschützen. Auch im höfischen Shinto gibt es seit dem Altertum eine Zeremonie, die die Geister besänftigen sollen (chinkonsai), aber nicht direkt an Totengeister orientiert ist. Geschahen doch unglückliche Ereignisse trotz dieser Zeremonien, so lag es meist an Rachegeistern von einflussreichen Personen, die auch als „erhabene Geister“ (goryo) bezeichnet wurden. Diese sind von den gewöhnlichen Rachegeistern insofern zu differenzieren, da man sie beruhigen kann, indem man sie auf die Stufe einer Gottheit (kami) bringt und sie mit einem eigenen Schrein ehrt.

Anders als die Kami-Gottheiten werden Geister nicht als höhere Autoritäten aufgefasst, sondern befinden sich sozusagen mit der Menschheit auf einer Stufe. Sie verfügen zwar über Fähigkeiten, die Menschen nicht besitzen, sind diesen aber nicht dominant, sondern in einem konträren Verhältnis: sie verlangen nach menschlichen Gütern und hegen Neid, Hass und Groll gegenüber Menschen, verzehren sich aber nach menschlicher Schönheit und sind sogar bereit, bestimmten Menschen zu Diensten zu stehen.

Die Grenzen zur Götterwelt sind jedoch nicht eindeutig. Sehr mächtige Fabelwesen und Geister können ebenfalls eine gottähnliche Verehrung genießen und sogar zu Göttern werden, andere Wesen mit magischen Kräften wie Kitsune, können auch als Botschafter zwischen Göttern und Menschen dienen.

yuurei unterscheiden sich von den traditionellen bakemono aufgrund ihrer temporalen Eigenschaft. Sie sind die einzigen Kreaturen der japanischen Mythologie, die eine bestimmte „Heimsuchungszeit“ haben (eta von 2 Uhr bis 2.30 Uhr morgens, die Hexenstunde in Japan, wenn die Grenzen zwischen der Welt der Toten und der Lebenden am schwächsten sind). Im Vergleich dazu schlagen obake meist zu jeder Zeit zu. Ähnlichkeit zeigt sich, indem yuurei ebenfalls an spezifische Orte gebunden sind, während bakemono an jedem Ort spuken können.
Yanagita Kunio unterscheidet yuurei von Obake, da yuurei einen bestimmten Grund für ihr Heimsuchen haben, wie Rache oder unerfüllte Aufgaben.

Es gibt in Japan einige sehr bekannte Orte, die angeblich von Yuurei heimgesucht werden, wie z.B. das Himeji Schloss, das vom Geist Okiku bewohnt wird und Aokigahara, der Wald am Fuße des Fuji, der auch ein bekannter Ort für Selbstmorde ist.


Totengeister in Literatur und Kunst

Totengeister haben auch Eingang in die buddhistische Erzählliteratur der Heian Zeit gefunden. Im Mittelalter wurden sie sehr häufig im No-Theater verarbeitet. Zwei von fünf Hauptklassen des No sind rastlose Geister, nämlich die Krieger- und die Wahnsinnsstücke. Erstere thematisieren tragische Helden aus dn klassischen Kriegereben wie Heike monogatari, die als Geister wieder auf die Bühne zurückkehren. Letztere beschäftigen sich besonders mit Frauen, die aufgrund schwerer Schicksalsschläge oder aufgrund enttäuschter Liebe keinen Frieden finden können.


Dass der Glaube an diese Geister auch heute noch anhält, sehen wir in dem Abhalten des japanischen Bon-Festes, das jährlich im August stattfindet und die Rückkehr der Toten behandelt. Dabei sind aber nicht Rachegeister, sondern Ahnenseelen der Schwerpunkt, die auch eher wohlwollend aus der Geisterwelt in die Menschenwelt kommen, um zu schauen, dass alles auch gut verläuft. Vor diesen Geistern muss man also keine Angst haben. Dennoch ist anzumerken, dass das Fest früher ein Ritus war, durch den verstorbene Ahnen, die als Hungergeister Wiedergeburt fanden, gerettet wurden. Daran ist also erkennbar, dass positive wie auch gefürchtete Vorstellungen von Totengeistern Hand in Hand gehen.

Darüber hinaus erkennt man auch den Glauben an real existierende Totenseelen in der Riten der Geisterbeschwörung. In manchen ländlichen Arealen Japans, vor allem in Nordjapan, praktizieren nach wie vor religiöse Experten einen Ritus, bei dem sie mit den Seelen der Toten kommunizieren. Es sind sogenannte itako, meist blinde Frauen, die davon auch ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie wandern von Haus zu Haus und vollführen häusliche Rituale, in denen sie mit den Verstorbenen reden. Mit deren Hilfe kann man Fragen an die Geister stellen und Antworten erhalten. Diese Riten werden auch als kuchiyose bezeichnet.


Bekannte yuurei und Kategorien der yuurei


Onryo


Diese sind die typischen Rachegeister, die aus der Unterwelt kommen, da sie in ihrem früheren Leben Unrecht begangen haben.

Goryo

Goryo sind die rachsüchtigen Geister der Adligen.

Funayuurei


Diese Geister stammen von Menschen, die auf See ihr Leben gelassen haben. Sie werden teilweise als fischähnliche Humanoiden gezeigt, die eine ähnliche Gestalt wie Meerjungfrauen besitzen.

Zashiki-warashi

Geister von Kindern, die eher sehr frech sind als gefährlich.

Ato-oi-kozou

Ato-oi-kozou sind Berggeister, die ursprünglich aus Kanagawa stammen. Diese sind Geister von verstorbenen Kindern. Es sind aber nicht unbedingt solche Kinder gemeint, die auch in den Bergen gestorben sind. In früheren Zeiten glaubte man, dass Berge die Orte sind, in denen die Seelen ihren Weg in die andere Welt finden würden, daher können diese Geister von Kindern aus aller Welt stammen. Sie sehen aus wie junge Kinder im Alter von 4 bis 10 Jahren und hinterlassen keine Fußspuren. Meist laufen sie durch die Berge während der Mittagszeit. Sie folgen Wanderern, reden mit ihnen, stellen Fragen und erhalten ein kostenloses Essen. Sie sind sehr harmlos, will man sie dennoch loswerden, muss man ihnen nur Essen geben wie Süßkaroffel oder Reisbälle. Sie werden das Essen nehmen und verschwinden.

Hito-dama


Dieser yuurei ist ein Feuergeist und sieht aus wie ein schwebender Feuerball.
Das Phänomen ist allbekannt und resultiert aus bestimmten Phosphorhaltigen Gasen. Es wird erzählt, dass hitodama ein Geist einer toten Person ist. Für gewöhnlich finden man diese Art von yuurei auf Friedhöfen.

Ikiryou

Dieser wird nicht als klassischer Geist nach westlichem Verständnis aufgefasst, gilt aber als einer im Japanischen. Diese Geister sind die Seelen von lebenden Menschen, was sie deutlich von anderen Geistern abhebt. Sie haben genau das gleiche Aussehen wie die lebende Person, können jedoch auch unsichtbar werden. Eine Person, dessen Herzen mit negativen Emotionen gefüllt ist (Neid, Hass, Ärger), wird zum Manifestieren dieses Geistes beitragen. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Person sich dessen meist nicht bewusst ist. Die Doppelgänger verfolgen die Person, die das Ziel der negativen Gefühle ist und machen sie krank, töten sie sogar in manchen Fällen. In der japanischen Erzähliteratur sind es meist Frauen, die eifersüchtig auf die Geliebten ihrer Männer sind.

Shiryou

Dieser Geist zeigt anders als die anderen Zeichen des Todes. Sie sehen sehr grotesk aus, wohingegen die meisten anderen Geister nach japanischer Sichtweise Schönheit besitzen. Diese Geister stammen von Menschen, die eines gewalttätigen qualvollen Todes gestorben sind. Aus dem Grunde sind sie auch selbst brachial und äußerst unsozial. Sie suchen die Orte heim, an denen sie ihren Tod gefunden haben.

Ubu-me


Dieser Geist sieht aus wie eine Frau, die ein Baby in ihren Armen hält, einen roten Rock trägt, der von der Geburt Blut durchtränkt ist. Wenn eine Frau im Kindbett gestorben ist, verwandelt sie sich in eine Ubu-me. Diese erscheint neben Flüssen und Brücken an regnerischen Nächten und fragt die Leute, denen sie begegnet, ob sie ihr Neugeborenes halten können. Geht jemand darauf ein, wird das Baby schwerer und schwerer. Selbst der stärkste Mensch kann dem irgendwann nicht mehr standhalten und lässt das Kind fallen. Daraufhin gerät der Geist in Rage und verflucht das opfer. Wenn jemand doch stark genug sein sollte das Kind zu halten, dem wird der Geist Dankbarkeit zeigen und er wird endlich Frieden finden.

Yuki-Onna

Sie ist eine der bekanntesten japanischen Geister und ich habe von ihr auch bereits im Zusammenhang mit Geistergeschichten geschrieben. Sie ist sehr schön und jung, hat eine blasse Haut und trägt einen weißen Kimono. Sie wandert durch schneebedeckte Landschaften Japans. Normalerweise lässt sie Menschen zu Eis gefrieren, doch die Geschichte, die sie bekannt machte, erzählt davon, wie sie einem jungen hübschen Mann begegnete, der ind er Lage war ihr Herz zum Schmelzen zu bringen.


Beerdigungsriten

Nach alter Tradition legen die Verwandten sechs Münzen neben den Leichnams nieder, bevor die Beerdigung ihren Lauf nimmt. Gemäß dem japanischen Glauben muss man in der Unterwelt zunächst an drei Grenzübergängen jeweils zwei Münzen zu Weiterreise abgeben. Der Fluss dieser Grenzübergänge wird „sanzu no kawa“ bezeichnet und ist vergleichbar mit dem Styx der griechischen Mythologie.

Der erste Grenzübergang ist eine Brücke. Wer Gutes vollbracht hat, kann die Brücke voller Edelsteine überqueren. Diejenigen, die Unrecht in ihrem Leben getan haben, werden jedoch gezwungen, durch einen Fluss voller Schlangen zu gehen.
Der zweite Abschnitt besteht aus einer Furt. Die guten Menschen können mit einem Boot zum dritten Übergang gebracht werden. Schlechte Menschen sind wieder gezwungen durch einen Fluss voller Schlangen zu schwimmen.
Nähert man sich dem Ufer, wird man von einem weiblichen Gott der Unterwelt empfangen, die „datsueba“ genannt wird und diese entkleidet einen. Ihr Mann, ebenfalls ein männlicher Gott der Unterwelt keneoo, bringt die Kleidung an einen Baum an. Biegen sich die Zweige und hängen sogar auf dem Boden, bedeutet dies, dass der Verstorbene viele Sünden gesammelt hat und daher bestraft werden muss. Die Strafe besteht darin, die Glieder auseinanderzureißen und sie wieder anzubringen.

Wie ihr sicherlich aus einigen Anime und Manga wisst, findet man bei jeder japanischen Beerdigung ein Porträt des Verstorbenen in einem Rahmen und eine ihai also Ahnentafel. Der Name des Verstorbenen wird auf diese Ahnentafel geschrieben. Man glaubte daran, dass die Seele des Verstorbenen sich auf der Ahnentafel befindet. Daher nehmen die Verbliebenen, die Seele mit der Ahnentafel mit sich und stellen sie auch in einem besonderen Raum im Haus auf. Wird der Leichenwagen dann getragen, drücke alle Gäste ihre Handfläche gegen ihren Daumen. Man glaubte, dass die oyayubi oder Daumen ihre Eltern darstellen. Oya bedeutet auch Elternteil, während yubi den Finger bezeichnet. Um die Eltern vor dem frühzeitigen Tod zu bewahren, wird also der Daumen gegen die Handfläche gedrückt, sobald ein Leichenwagen vorbeifährt.

Ist die Einäscherung abgeschlossen, holen die Verwandten die Knochen aus der Asche und legen sie mit Essstäbchen in eine Urne, wobei der Knochen von einem Verwandten zum nächsten gereicht wird, bis alle Knochen in die Urne gelangt sind. Dies mag etwas seltsam erscheinen, ist aber eine Form der Respekterweisung, bei dem die Verwandten auch noch Zeit mit dem Verstorbenen verbringen. Aus diesem Brauch lassen sich einige Tabus erklären: Das Essen wird nicht von Stäbchen zu Stäbchen gereicht. Stattdessen legt man das Essen auf die Schüssel des Partners. Darüber hinaus sollte man die Stäbchen auch nicht einfach in die Schüssel Reis stecken, da dies an die Totenehrung erinnert.








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